Maß-, Form- und Lagetoleranzen (ISO GPS)

Basisseminar (offenes Präsenzseminar)

Kosten senken, Produktwertigkeit erhöhen und Haftungsrisiken minimieren durch eine funktions-, fertigungs-, prüf- und kostengerechte dimensionale und geometrische Tolerierung auf Basis der aktuellen GPS-Normen der ISO (ISO GPS).

Zum Thema

Die ersten Normen zur dimensionalen und geometrischen Tolerierung ("Maß-, Form- und Lagetolerierung") wurden in Deutschland bereits Ende der 1950er-Jahre veröffentlicht. Jedoch auch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Veröffentlichung, ist die Mehr­zahl der Anwender mit der funktions-, fer­ti­gungs-, prüf- und kostengerechten Anwendung sowie der richtigen Interpreta­tion und mess­techni­schen Umsetzung noch immer überfor­dert.

Dies zeigt sich unter anderem daran, dass weit mehr als die Hälfte aller technischen Produktspezifikationen (Konstruktions­zeich­nun­gen) alleine im Hin­blick auf ein sinnvol­les Tole­ranzmana­ge­ment un­voll­ständig, mehrdeutig oder falsch sind. In Kon­sequenz lässt die den meisten Kon­struktions­zeichnun­gen zugrunde lie­gende Tole­rie­rung die Her­stellung funktionsunfähi­ger Pro­dukte zu, da eine ein­deutige und vollstän­dige Pro­dukt­spe­zi­fika­tion ohne geometri­sche Toleranzen nicht mög­lich ist.

Eine fehlerhafte und nicht funktionsgerechte Tole­rie­rung führt häufig zur Festlegung zu en­ger "Angsttole­ranzen", zu einer auf­wän­di­gen und teuren Fertigung, zu einer schwieri­gen und teu­ren Prü­fung und letztlich zu einem un­nötig hohen Ab­stim­mungs­bedarf zwi­schen Kon­struktion, Produktion und Quali­tätssiche­rung, wäh­rend die Qualität des Pro­dukts hierdurch nicht ver­bessert wird.

Eine sinnvolle, funktionskonforme und kosteneffiziente geometrische Tolerierung ist in vie­len Un­terneh­men auch heute noch nicht mit genü­gender Sorgfalt ein­geführt, obwohl sich gerade hierdurch erhebliche Kosten bei der Kommunikation, der Fer­tigung sowie der Prüfung einsparen las­sen.

Seminarziel

Das Seminar vermittelt Ihnen die wichtigsten, heute verfügbaren Werkzeuge zur dimensionalen und geometri­schen Tole­rie­rung (Maß-, Form- und Lagetolerie­rung) auf Basis der neuen internationalen GPS-Standards der ISO.

Es sollte Ihnen nach dem Besuch des Seminars möglich sein, die dimensionalen und geometrischen Toleranzen ("Maß-, Form- und Lagetoleranzen") zur Lösung - auch komplexer - kon­strukti­ver Aufgabenstellungen sicher und norm­kon­form anzu­wenden, insbesondere im Hinblick auf die Ver­minde­rung der Fertigungs- und Prüf­kosten sowie des inner­be­trieblichen und des ex­ternen Abstim­mungsbe­darfs. Weiterhin wer­den Sie in der Lage sein, Kunden­zeich­nungen richtig zu interpre­tie­ren, kritisch zu hinter­fragen und auf "Augenhöhe" mit Ihren Vertragspartnern zu kommunizieren. Besonderer Wert wird auf eine durchgängig anschauliche und praxisgerechte Vermittlung der Inhalte gelegt.

Ihr Nutzen - Sie lernen in diesem Seminar:

  • die wichtigsten "Werkzeuge" und Änderungen mit Einführung unter anderem von ISO 14405-3:2016 bzw. ISO/DIS 14405:2024, ISO 1101:2017, ISO 5458:2018, ISO 5459:2024 kennen, sowie die wesentlichen Inhalte ausgewählter ergänzender GPS-Normen der ISO, wie zum Beispiel ISO 1660:2017,
  • die Anwendungsgrenzen dieser Normen bei der Lösung funktionell-konstruktiver Aufgabenstellungen kennen und erhalten wertvolle Tipps für die Praxis,
  • die wesentli­chen In­halte von ISO 8015:2011 und ihre nicht unerheblichen Auswirkungen auf die korrekte Interpretation von Toleranzinformationen in Technischen Produktdokumentationen (z. B. "Grundsatz der Unabhängigkeit"),
  • die Auswirkungen einer mehrdeutigen Tolerierung auf die Ferti­gungs- und Prüf­kos­ten, die Funktionalität und Pro­dukthaftung, (z. B. fehlerhafte Bezüge und Bezugssysteme) kennen und sicher zu beseitigen,
  • die Festlegung funktions-, fertigungs- und prüfgerechter Be­züge,
  • auf welche Weisen durch eine funktionsorientierte Tolerierung die Fertigungs- und Prüfkosten vermindert und die Pro­duktwertigkeit erhöht werden kann,
  • eine zeitgemäße Tolerierungsstrategie unter Einbindung digita­ler CAD-Datensätze im Sinne der modellbasierten Produktdefinition (MBD) kennen,
  • Möglichkeiten zur Vermeidung von Fehlinterpretationen interner und externer Kon­struktionszeich­nungen.

Alle Seminarteilnehmer erhalten eine ausführliche, teilweise zweisprachige (dt. und engl.) Seminardokumentation mit vielen nützlichen und aktuellen Informationen, Tipps und Praxisbeispielen sowie  einen exklusiven Zugang zum Kundenbereich unserer Homepage mit weiteren nützlichen und aktuellen Informationen, Tipps und Praxisbeispielen.

Seminarinhalte

Themenbereich 1: Einführung in das Toleranzmanagement und das GPS-Normensystem der ISO (ISO GPS)

Recht, Produkthaftung und Konsequenzen typischer Tolerierungsfehler

  • Recht und Produkthaftung: Konsequenzen einer fehlerhaften, mehrdeutigen oder nicht norm­kon­formen Produktdokumentation – Wer haftet im Schadenfall?
  • Überblick der häufigsten Tolerierungsfehler in Konstruktionszeichnungen und ihre Konsequenzen
  • Kostenwirksamkeit von Toleranzen und Zusammenarbeit im Unternehmen

Das GPS-Normensystem der ISO – Aufbau, Ziele und Nutzen

  • Geometrische Produktspezifikation (GPS) – Das GPS-Matrixmodell (ISO 14638:2015)
  • Das GPS-Normensystem der ISO als Voraussetzung für die modellbasierte Produktbeschreibung (Modellbasierte Produktdefinition, MBD)
  • Dokumentenarten mit GPS (ISO/TS 21619)
  • Operatorkonzept und Spezifikationsoperatoren (ISO 17450-2:2013)

Digitale Produktdefinition und 3D-Visualisierung

  • Zeichnungslose Produktdokumentation (VDA 4953-2:2015)
  • Verfahrensregeln für die digitale Produktdefinition (ISO 16792:2021)
Themenbereich 2: Grundlegende Prinzipien und Regeln des GPS-Normensystems der ISO
  • Grundlegende Prinzipien und Regeln auf Basis von ISO 8015:2011 – Bedeutung der Grundsätze, erklärt an typischen Beispielen:
    - Grundsatz des Aufrufens
    - Grundsatz der GPS-Normenhierarchie
    - Grundsatz der bestimmenden Zeichnung
    - Grundsatz des Geometrieelementes
    - Grundsatz der Unabhängigkeit
    - Grundsatz der Dezimaldarstellung
    - Grundsatz der Standardfestlegung
    - Grundsatz der Referenzbedingungen
    - Grundsatz des starren Werkstücks
    - Grundsatz der Dualität
    - Grundsatzes der Dualität
    - Grundsatz der Funktionsbeherrschung
    - Grundsatz der allgemeinen Spezifikation
    - Grundsatz der Verantwortlichkeit
  • Auswirkung von ISO 8015:2011 auf bestehende und neue Produktspezifikationen (Interpretation)
Themenbereich 3: Dimensionale Tolerierung (Maßtolerierung) – Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen
  • Typische Fehler der dimensionalen Tolerierung (Maßtolerierung) in Technischen Produktdokumentationen (Fallbeispiele) und ihre weitrei­chenden Auswir­kungen auf die Funktion
  • Zweipunktgrößenmaß als Default-GPS-Spezifikationsoperator für lineare Grö­ßenmaße (ISO 14405-1:2016 und ISO 17450-3:2016) – Funktionelle Konsequenzen und messtechnische Umsetzung (Verifikation)
  • Die Hüllbedingung als zeichnungsspezifischer, spezieller Default-GPS-Spezifikationsoperator der ISO für li­neare Grö­ßenmaße ("Hüllprinzip"): Konsequenzen auf Funktion, Fertigungs- und Prüfkosten
  • Festlegung eines sinnvollen zeichnungs- oder firmenspezifischen GPS-Spezifikationsoperators u. a. unter Berücksich­tigung der verfügbaren Prüfmittel
  • Funktionen beschreiben durch korrekte Auswahl und Festlegung von Spezifikations-Modifikatoren (ISO 14405-1:2016) für line­are Größenmaße (z. B. Hüllbedingung)
  • ISO-Maßtoleranzsystem (ISO 286-1:2010, -2:2010): Richtige Interpretation ISO-codierter linearer Größen­maße (z. B. 30 H7)
Themenbereich 4: Grundlagen der geometrischen Tolerierung, Toleranzindikator und Toleranzzonen
  • Typische Fehler der geometrischen Tolerierung (Fallbeispiele) und mögliche Konsequenzen
  • Referenzgeometrieelemente
  • Toleranzindikator - Aufbau und Eintragungsregeln für integrale und abgeleitete Geometrieelemente. Alterna­tive Kennzeichnungsmöglichkeit für abgeleitete Geometrieelemente
  • Kennzeichnung eingeschränkter Bereiche
  • Theoretische Maße (TED) und theoretisch exaktes Geometrieelement (TEF)
  • Toleranzzonen - Form (z. B. linear, zylindrisch, sphärisch) und Weite, Anwendungsbeispiele
  • Spezifiziert versetzte Toleranzzone (UZ-Modifikator) und unspezifiziert versetzte Toleranzzone (OZ-Modifikator)
Themenbereich 5: Formtolerierung (ISO 1101:2017, ISO 1660:2017)
  • Geradheit von Linienelementen einer nominellen Ebene sowie von Linienelementen und zentralen Linie eines Zylinders
  • Ebenheit für integrale und zentrale nominell ebene Geometrieelemente
  • Rundheit von zylinderförmigen Flächen und nicht zylinderförmigen Rotationsflächen, Richtungselemente-Indikator
  • Zylindrizität
  • Linien- und Flächenprofil ohne Bezüge (ISO 1660:2017)
  • Typische Anwendungsbeispiele für die Formtolerierung (z. B. Dichtflächen)
  • Referenzgeometrieelemente: Default-Festlegungen (ISO 12180-1, -2; ISO 12181-1, -2 ISO 12780-1, -2; ISO 12781-1, -2), Modifikatoren für die Assoziation von Referenzgeometrieelementen und Entstehung möglicher Widersprüche
  • Erkennen unvollständiger und fehlerhafter Prüfprotokolle
Themenbereich 6: Bezüge und Bezugssysteme (ISO 5459:2024)
  • Die Rolle der Bezüge, funktionsgerechte Festlegung von Bezügen, typische Anwendungsfälle, Praxisbeispiele und Tipps
  • Bezugssymbol, Eintragungsregeln für integrale und zentrale Geometrieelemente
  • Direkte und indirekte geometrische Tolerierung von Bezügen
  • Standardmäßige Regeln für die Bildung von Einzelbezügen nach ISO 5459: Ebene, Kreis und Zylinder, Kugel, Parallel-Linien- und Parallel-Ebenenpaar, Kegel und Keil
  • Gemeinsamer Bezug: Zeichnungseintragung und Regeln für die Bezugsbildung, Anwendungs- und Praxis-bei­spiele, Bildung eines gemeinsamen Bezugs aus einer Kollektion von mehr als zwei Flächen, mess­techni­sche Probleme bei der Bildung eines gemeinsamen Bezugs
  • Bezugssysteme:  Aufbau und Interpretation von Bezugssystemen, Mehrdeutigkeit von Bezugssystemen, Anwendungsbeispiele und Praxistipps
  • Erkennen unbrauchbarer Bezüge und Bezugssysteme, Abhilfemaßnahmen
  • Bezugsstellen: Symbolik, feste und bewegliche Bezugsstelle, berührendes Geometrieelement [CF]
  • Übungen und Praxisbeispiele zur funktions-, fertigungs- und prüfgerechten Bezugsbildung
  • Änderungen und neue Tolerierungsmöglichkeiten mit Einführung von ISO 5459:2024 sowie kritische Diskussion der Norm
Themenbereich 7: Richtungs-, Orts und Lauftolerierung (ISO 1101:2017)

Logik der Richtungs- und Ortstolerierung

  • Elementare Prinzipien, Funktionen beschreiben durch Blockieren und Freigeben von Freiheitsgraden
  • Symmetrieklassen von Flächen und Linien, Reduktion auf Situationselemente sowie Beschreibung funktionaler Anforderungen durch Reduktion von Freiheitsgraden

Richtungstoleranzen

  • Anwendungsregeln, Beispiele und Anwendungsgrenzen (ISO 1101:2017)
  • Parallelität
  • Rechtwinkligkeit
  • Neigung
  • Richtungsgebundenes Linien- und Flächenprofil (ISO 1660:2017)

Ortstoleranzen

  • Fundamentale Regeln, Beispiele und Unterschiede zu Form- und Richtungstoleranzen
  • Position
  • Konzentrizität und Koaxialität
  • Symmetrie
  • Ortsgebundenes Linien- und Flächenprofil (ISO 1660:2017)

Lauftoleranzen

  • Regeln, Anwendungsbeispiele und Anwendungsgrenzen
  • Rundlauf (radial, axial, in beliebiger Richtung, in spezifizierter Richtung) 
  • Gesamtrundlauf (radial und axial)
  • Unterschied zwischen radialem Rundlauf, Rundheit und Koaxialität, Praxisbeispiele
Themenbereich 8: Elementgruppenspezifikation (ISO 5458:2018)
  • Konsequenzen aus dem Grundsatz der Unabhängigkeit (ISO 8015:2011) und Notwendigkeit der Bildung von Elementgruppen, grundlegende Konzepte
  • Regeln der Elementgruppenspezifikation sowie Ausnahmen
  • Einstufige und mehrstufige, einzelne Elementgruppenspezifikation, SZ-, CZ- und CZR-Modifikatoren, Identifikation feh­lerhafter Sequenzen
  • Mehrfache Elementgruppenspezifikation, SIM-Modifikator
  • Unterschiede zwischen ISO 5458:2018 und ISO 5458:1998, signifikante Regeländerungen
Themenbereich 9: Mehrdeutige Allgemeintoleranznormen und eindeutige geometrische Spezifikation
  • Mehrdeutigkeit und Lücken von ISO 2768-1, -2 (zurückgezogen) sowie ISO 20457:2018 
  • Mögliche Konsequenzen bei der Anwendung von ISO 2768-1, -2 (zurückgezogen) sowie ISO 20457:2018 auf die Zeich­nungsinterpretation und Produkthaftung
  • Allgemeine dimensionale und geometrische Spezifikation (ISO 22081:2021) – Anwendungsregeln und Anwendungsgrenzen
  • Konsequenzen und mögliche Widersprüche aus der Anwendung von DIN 2769 in Zusammenhang mit ISO 22081 - Empfehlungen aus der Praxis
     
Themenbereich 10: Virtuelle Materialbedingungen (ISO 2692:2021) - Einführung
  • Maximum-Material-Bedingung als Instrument zur Toleranzerweiterung ohne Beeinträchtigung der Funk­tion, Verminderung von Fertigungs- und Prüfkosten
  • Begriffe und normgerechte Zeichnungseintragung
  • Neue und erweiterte Anwendungsmöglichkeiten mit Einführung von ISO 2692:2021
  • Übungs-, Praxis- und Anwendungsbeispiele zur Verdeutlichung der Maximum-Material-Bedingung
  • Einführende Information zur Minimum-Material- und zur Reziprozitätsbedingung (LMR und RMR)
Themenbereich 11: Tolerierung nicht formstabiler Teile und projizierte Toleranzzone
  • Tolerierung nicht formstabiler Teile (ISO 10579:2010)
  • Unterscheidung formstabiler und nicht formstabiler Teile, Notwendigkeit der Spezifikation von Aufspannbedingungen, Erkennen fehlerhafter Spezifikationen
  • Regeln für die Zeichnungseintragung, Modifikator für den freien Zustand
  • Projizierte Toleranzzone (ISO 1101:2017)
  • Eintragungsregeln für die projizierte Toleranzzone (toleriertes Geometrieelement und Bezugselement)
  • Anwendungsbeispiele und Nutzen der projizierten Toleranzzone
Themenbereich 12: Allgemeine geometrische und dimensionale Tolerierung
  • Konsequenzen aus dem Rückzug von ISO 2768-2
  • Normen die im Sinne der Eindeutigkeit und Vollständigkeit einer Produktspezifikation zwingend vermeiden werden sollten (u. a. ISO 20457 sowie DIN 2769)
  • Allgemeine dimensionale und geometrische Tolerierung: Wesentliche Inhalte von ISO 22081:2021 und ihre Anwendungsgrenzen
Themenbereich 13: Teilnehmerfragen, Abschlussdiskussion, wichtige GPS-Normen der ISO und Literatur
  • Klärung offener Fragen und Verständnisfragen aus dem Teilnehmerkreis sowie Diskussion firmenspezifi­scher Fragestellungen
  • Diskussion ausgewählter kundenspezifischer Produktdokumentationen («Zeichnungen»)
  • Tipps für die Weiterarbeit nach dem Seminar: Betriebliche Implementierung eines Toleranzmanagement­systems auf Basis des GPS-Normensystems der ISO
  • Hilfreiche Literatur zur dimensionalen und geometrischen Tolerierung
  • Zusammenfassung der wichtigsten GPS-Normen der ISO für die dimensionale und geometrische Tolerierung