Arithmetische und statistische Tolerierung in der Produktentwicklung

Praxisseminar (Inhouse)

Funktionen absichern, Bauteiltoleranzen aufweiten und Fertigungskosten reduzieren

Zum Thema

Fertigungsbedingte Einflüsse führen dazu, dass jedes Werkstück von seiner idealen Gestalt abweicht. Dimensionale und geometrische Toleranzen legen dabei die zulässige Abweichung zwischen idealer und realer Bauteilgeometrie fest. Im Sinne einer funktions- und kostengerechten Fertigung und Prüfung ist es dabei zwingend erforderlich, realistische Toleranzwerte zu spezifizieren. Unzureichende Kenntnisse in Bereich der Toleranzberechnung führen erfahrungsgemäß zur Festlegung unrealistisch kleiner "Angsttoleranzen" und können somit zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil führen, da nur bei maximaler Ausnutzung aller Toleranzen, Produkte kosteneffizient erzeugt werden können. Erfahrungsgemäß führt eine Halbierung der Toleranz zu einer Vervierfachung der Fertigungskosten. Zusätzlich sind noch überproportional hohe Kosten für die Verifikation (Messunsicherheit) zu berücksichtigen.

Werden einzelne, toleranzbehaftete Bauteile zu einer Baugruppe montiert, dann addieren sich die Toleranzen der Einzelteile der Baugruppe. Die klassische arithmetische Toleranzberechnung, die auf dem Ansatz der vollständigen Austauschbarkeit beruht, summiert im Sinne einer "Worst-Case"-Betrachtung die Einzeltoleranzen auf. Um die Toleranzanforderung innerhalb einer Baugruppe sicherstellen zu können, resultieren aus dieser Vorgehensweise unrealistisch kleine Toleranzen und somit hohe Fertigungs- und Prüfkosten für jedes einzelne Bauteil der Baugruppe.

Während sich die Abweichung der realen von der idealen Gestalt eines einzigen gefertigten Werkstücks nicht vorhersagen lässt, kann jedoch das Verhalten einer größeren Menge von gefertigten Bauteilen statistisch beschrieben werden. Die statistische Toleranzberechnung liefert eine Vorhersage der Verteilung eines (geometrischen) Merkmals anhand der statistischen Verteilungen der Einzeltoleranzen der Toleranzkette und bildet somit die Realität besser ab, im Vergleich zur arithmetischen Toleranzberechnung. Mit Hilfe der statistischen Toleranzberechnung ist es weiterhin möglich, die Wirkungen einzelner Toleranzen innerhalb einer Baugruppe zu quantifizieren und somit die Optimierung von Design und Prozess auf den Hauptbeitragsleister zu konzentrieren. Durch Anwendung der Werkzeuge der statistischen Toleranzberechnung in einer möglichst frühen Phase der Produktentwicklung im Sinne einer systematischen Toleranzanalyse, können Einzelteile mit deutlich größerer Toleranz gefertigt werden. Dies führt einerseits zu einem deutlich reduzierten Ausschuss und/oder bestehende ältere Maschinen können länger genutzt werden. Die Fertigungskosten werden somit insgesamt deutlich reduziert.

Bereits Anfang der 1970er Jahre wurden in Deutschland erste Standards zur statistischen Tolerierung eingeführt. Damit wurde es möglich, den Zusammenhang von Einzelteiltoleranzen und den sich daraus ergebenden funktionswichtigen Schließmaßen von Baugruppen mathematisch zu beschreiben. Den Unternehmen und somit den Konstrukteuren stand nunmehr ein Werkzeug zur Verfügung, um bei steigenden Genauigkeitsanforderungen die Funktion von Einzelteilen und Baugruppen bei gleichzeitig wirtschaftlicher Fertigung und Montage sicherzustellen. Toleranzen wurden somit nicht mehr nach "Bauchgefühl", sondern qualifiziert und nach klaren Regeln nachvollziehbar festgelegt.

Die Toleranzfestlegung am Bauteil sowie die Maßkettenrechnung innerhalb einer Baugruppe zur Sicherstellung des funktionsbedingten Zusammenwirkens von mehreren Bauteilen sind von vielen Entwicklungsingenieuren und -ingenieurinnen unbeliebte Tätigkeiten. Gründe dafür sind u. a. die frühe Phase der Produktentwicklung (welche Toleranz ist für die Erfüllung der Funktion notwendig?), mangelnde Kommunikation innerhalb des Unternehmens (Rückmeldung aus der Fertigung über die Einhaltung von Toleranzen erfolgt nicht oder zu spät) oder mangelnde Kostentransparenz (wer oder was sind unsere Kostentreiber?).

Mit Hilfe der arithmetischen und insbesondere der statistischen Toleranzberechnung ist es jedoch möglich, realistische Toleranzwerte festzulegen und „Angsttoleranzen“ zu vermeiden. Nach der Vorstellung der jeweiligen theoretischen Grundlagen erfolgt unmittelbar eine Bearbeitung von anwendungsbezogenen Übungsaufgaben. Im Anschluss werden die Ergebnisse ausführlich besprochen und analysiert, damit die Inhalte gefestigt und Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen gezogen werden können.

Seminarziel

Sie lernen in diesem Seminar anhand von praktischen Beispielen Methoden der arithmetischen und statistischen Toleranzberechnung kennen. Wir zeigen Ihnen Lösungsansätze auf, mit deren Hilfe Sie Fertigungskostendurch Aufweitung einzelner Toleranzen gezielt reduzieren können, ohne dabei die funktionellen Anforderungen zu beeinträchtigen. Weiterhin werden Sie in der Lage sein, die Gewichtung einzelner Toleranzen auf die Gesamttoleranz zu ermitteln, sodass eine effiziente und zielgerichtete Optimierung von Design und Prozess möglich sein wird. Sie sind somit in der Lage, bereits in einer frühen Phase der Produktentwicklung realistische Toleranzwerte festzulegen und „Angsttoleranzen“ zu vermeiden.

Da uns der Praxisbezug und die Effizienz auch bei diesem Seminartitel wieder besonders wichtig ist, können die Methoden und Vorgehensweisen der arithmetischen und statistischen Toleranzberechnung ggf. auch am Beispiel Ihrer eigenen Bauteile aufgezeigt werden

Ihr Nutzen

  • Beherrschung des „Worst-Case“-Ansatzes (arithmetische Toleranzberechnung) und des statistischen Ansatzes (statistische Toleranzberechnung) an Bauteilen und Baugruppen
  • Sichere Aufstellung von Maßketten
  • Bestimmung des Prozessfähigkeitsindex
  • Beurteilung der Auswirkungen verschiedener Fertigungsverteilungen auf die Toleranz des Funktionsmerkmals
  • Erkennen der dominierenden Einflussfaktoren
  • Ermittlung des Potenzials zur Aufweitung der Toleranzen
  • Erkennen, Beurteilen und Vermeiden typischer Fehler bei der Toleranzberechnung

Die größten konstruktiven und wirtschaftlichen Vorteile entfaltet die Statistische Tolerierung in der Großsereinfertigung, da die Prozesse reproduzierbar und kontrolliert sind. Aber auch bei kleinen und mittleren Serien können mit Hilfe der Statistischen Toleranzberechnung weniger ideale Randbedingungen mathematisch abgebildet und die Realität besser dargestellt werden, als mit Hilfe von "Worst Case"-Betrachtungen. 

Seminarinhalte

Themenbereich 1:  Dimensionale und geometrische Toleranzen
  • Entstehung von dimensionalen und geometrischen Abweichungen (u. a. werkstoffphysikalische Eigenschaften, Fertigungsprozess)
  • Notwendigkeit der Tolerierung von Maß, Form und Lage
  • Technische und wirtschaftliche Aspekte der Tolerierung
Themenbereich 2:  Grundlagen der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung
  • Grundbegriffe
  • Wichtige statistische Verteilungen für technische Messreihen
  • Statistische Maßzahlen (u.a. Mittelwert, Standardabweichung, Zentralwert)
  • Grafische Darstellung von Messergebnissen (Histogramm, Box-Whisker-Plot)
  • Ergibt Datensammeln Sinn?
  • Anwendungsbeispiel mit Übung
Themenbereich 3:  Qualitätsfähigkeitskenngrößen
  • Maschinenfähigkeit und Prozessfähigkeit sowie Kenngrößen nach ISO 22514-1
  • Berechnungsmethoden zur Bestimmung von Fähigkeitsindices nach ISO 22514-2 sowie deren Beurteilung
  • Anwendungsbeispiel mit Übung
Themenbereich 4:  Arithmetische und statistische Toleranzberechnung - Teil 1
  • Montagesimulation einer Baugruppe
  • Methoden der Austauschbarkeit
  • Unterschied zwischen arithmetischer und statistischer Toleranzberechnung
  • Entstehung von Maß- bzw. Toleranzketten (lineare und nichtlineare Maßketten)
Themenbereich 5:  Arithmetische und statistische Toleranzberechnung - Teil 2
  • Unterschied zwischen Toleranzanalyse und Toleranzsynthese
  • Aufstellen von Maßplänen inkl. Festlegen der Zählrichtung
  • Ermittlung des Schließmaßes
  • Anwendungsbeispiel mit Übung
Themenbereich 6:  Arithmetische und statistische Toleranzberechnung - Teil 3
  • Elemente der statistischen Toleranzberechnung (u.a. Abweichungsfortpflanzungsgesetz, Mittelwertsatz)
  • Berechnung der Schließtoleranz unter statistischen Gesichtspunkten
  • Wann liefert eine statistische Toleranzberechnung sinnvolle Ergebnisse?
  • Anwendungsbeispiel mit Übung
Themenbereich 7:  Faktoren zur Erweiterung der Toleranzen
  • Ermittlung der Toleranzerweiterungsfaktoren für die einzelnen Maße
  • Auswirkung einzelner Maße auf das Gesamtergebnis (sog. Beitragsleisterermittlung): Wo besteht Handlungsbedarf?
  • Vergleich von Toleranzkonzepten
  • Unser Lieferant kann die Toleranz nicht einhalten – Haben wir jetzt ein Problem?
  • Anwendungsbeispiel mit Übung
Themenbereich 8: Übungsaufgaben, Teilnehmerfragen, Abschlussdiskussion, Feed-Back
  • Ergänzende Übungsaufgaben
  • Klärung offener Fragen und Verständnisfragen aus dem Teilnehmerkreis sowie Diskussion firmenspezifi­scher Fragestellungen
  • Tipps für die Weiterarbeit nach dem Seminar
  • Abschlussdiskussion und Feed-Back

Zielgruppen

Techniker, Ingenieure und Entscheidungsträger aus Konstruktion/Entwicklung, Produktion und Qualitätswesen.

Es sind keine Voraussetzungen erforderlich. Wünschenswert wären Grundkenntnisse über statistische Maßzahlen (z. B. arithmetischer Mittelwert und Standardabweichung) und statistische Verteilungen für technische Messreihen (z. B. Normalverteilung).

Seminarinformationen

Seminarinformationen
Seminardauer:  2 Tage
Seminartyp:Inhouse
Code:TOL-STAT Inhouse
Abschluss:Zertifikat
Bonus:Zugang zum Kundenbereich


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